Interview mit Johanna Thielges

Ressourcenschonung durch alternative Werkstoffe

Jungmeisterin Johanna Thielges aus Mainz hat im Februar ihre Meisterprüfung an der Handwerkskammer Wiesbaden abgelegt. Teil ihrer Projektarbeit ist ein Meisterstück aus neuartigen alternativen Werkstoffen.

Johanna Thielges mit Ehemann Kevin und ihrem Meisterstück
Johanna Thielges mit Ehemann Kevin und ihrem Meisterstück

Was unterscheidet Ihr Meisterstück von anderen Meisterstücken in Ihrem Jahrgang?

 

Hinsichtlich der Konzeption meines Meisterstückes stand für mich neben dem Design und der Funktion insbesondere auch die Verarbeitung von alternativen Materialen, die den Wald als Ressource, sowie Lebensraum schonen, im Vordergrund. 

Denn der Werkstoff Holz verfügt über einen hohen Wert, welcher gesehen und respektiert werden sollte. Ein schonender Umgang ist unabdingbar zum Erhalt des ökologischen Gleichgewichtes. 

 

Daher die Frage, warum Holz zur Herstellung von Plattenmaterialien verwenden und dafür Wälder roden, wenn alternative Reststoffe anfallen oder schnell nachwachsende Ressourcen genutzt werden können?

 

Mein Meisterstück ist ein Versuch traditionelle Handwerkskunst mit neuartigen Materialien so zu kombinieren, dass es qualitativ und hinsichtlich der Belastbarkeit mit herkömmlichen Materialien mithalten kann, dabei aber ressourcenschonend, ökologisch wertvoll, schadstofffrei und biologisch abbaubar bleibt.

 

Bitte beschreiben Sie kurz beispielhaft die von Ihnen verwendeten Werkstoffe.

 

Um der massiven Entwaldung entgegenzuwirken, habe ich als hauptsächliches Trägerplattenmaterial Strohplatten verwendet. Diese werden aus Reststoffen der landwirtschaftlichen Produktion sowie schnell nachwachsenden, pflanzlichen Rohstoffen hergestellt. Die Herstellung erfolgt dabei streng nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip – einem ganzheitlichen Konzept der Kreislaufwirtschaft. Die Platten lassen sich demnach am Ende ihres Lebenszyklus komplett kompostieren bzw. dienen zu 100% als Grundlage für die Herstellung neuer Produkte. Dabei wird auf den Einsatz von chemischen Bindemitteln verzichtet, wodurch die Platten frei von Formaldehyd, recyclebar und biologisch abbaubar sind.

 

Für die Herstellung einer weiteren verwendeten Trägerplatte werden anfallende zellulosehaltige Reststoffe recycelt. Die Rohstoffe werden dabei lokal aus Produktions- und landwirtschaftlichen Nebenprodukten bezogen. Im Zuge des Herstellungsprozesses wird unter Einsatz von recyceltem Wasser ein Zellulosebei erzeugt, welcher mittels Wärme und Druck zu Platten verpresst wird. Hierbei wirkt das enthaltene Lignin als natürliches Bindemittel. Somit enthalten die Platten keine Giftstoffe und sind vollständig recyclebar sowie biologisch abbaubar.

 

Wie sind Sie auf diese Werkstoffe gestoßen?

 

Schon vor der Planung und Gestaltung meines Meisterstückes war es mir wichtig, ein hochwertiges Möbel zu erschaffen, welches nicht nur dem Betrachter, sondern auch der Umwelt Freude bereitet. Um dies zu erreichen habe ich in einer aufwendigen Recherche alle möglichen Schicht- und Plattenwerkstoffe herausgesucht, die derzeit auf dem europäischen Markt zu erwerben sind. Einige befinden sich noch im Testverfahren und sind daher nicht erwerbbar. Nach näherer Begutachtung der zugesandten Musterplatten und der dazugehörigen Datenblätter konnte eine Auswahl an Werkstoffen getroffen werden.

 

Einen besonderen Wert legte ich hierbei auf die Ressourcenschonung, die Beachtung des Cradle-to-Cradle-Prinzipes bei der Werkstofferstellung, die Schadstofffreiheit, die Recyclingfähigkeit und die biologischen Abbaubarkeit der Materialien sowie natürlich auf ihre Haptik, Optik und Verarbeitbarkeit. Im Zuge der Gestaltung und der Konstruktion des Stückes mussten die unterschiedlichen Eigenschaften berücksichtigt und die alternativen Materialien ihren Stärken entsprechend eingesetzt werden. Auch bei der Auswahl der verwendeten Leime und des Oberflächenmittels war es mir wichtig nachhaltig produzierte, biologisch abbaubare und somit ökologisch wertvolle Materialien zu verwenden.

Von der Jungmeisterin verwendete alternative Werkstoffe
Von der Jungmeisterin verwendete alternative Werkstoffe

 

Konnten Sie auf die Erfahrungen anderer zurückgreifen? Gibt es eine „Community“ der Verwender?

 

Die meisten verwendeten Platten sind erst seit kurzem auf dem Markt erhältlich oder noch nicht sehr bekannt, sodass bis auf vereinzelte Verarbeitungshinweise des jeweiligen Herstellers auf keine weiteren Erfahrungen zugegriffen werden konnte. Die zugesandten Muster habe ich im Vorfeld hinsichtlich ihrer Verarbeitungsfähigkeit so gut wie möglich getestet. Dabei wurde insbesondere untersucht, ob das Anbringen von Vollholz-Anleimern und das Furnieren der Platten die erwünschten Resultate bringt und welche Oberflächenbearbeitung für das jeweilige Material die geeignetste ist.

 

Für die Fertigung des Meisterstückes waren auch mehrere Fertigungsschritte notwendig, die im Vorfeld noch nicht von den Herstellern der Platten untersucht wurden. Dementsprechend stehe ich in kontinuierlichem Austausch mit den Zulieferern, um meine Erfahrungen mit Ihnen zu teilen.

 

Wie lange gibt es die von Ihnen verwendeten Materialien schon am Markt?

 

Die meisten verwendeten Materialien wurden in den letzten fünf Jahren in den Markt eingeführt. Einzelne befinden sich noch in einer Erprobungsphase und werden nur an ausgewählte Bearbeiter versandt.

 

Sind Sie die Einzige in Ihrem Kurs, die solche Materialien verwendet? Oder kommt da vielleicht ein Trend bei der neuen Generation im Tischlerhandwerk auf?

 

Nach meinem Kenntnisstand verwendete kein weiterer Absolvent ähnliche oder gar die gleichen Materialien. Mir persönlich war es ein Anliegen, die mir gebotenen Bühne im Zuge der Ausstellung in der HWK Wiesbaden als Chance zu nutzen, um aufzuzeigen, dass bereits heute hochwertige Möbel aus nachhaltig produzierten und aus ökologischer und gesundheitlicher Sicht unbedenklichen Materialien gebaut werden können. Oder sie zumindest eine gute Alternative für einige Arbeiten sein können, welche man im Hinterkopf behalten könnte. Es geht mir dabei nicht um ein radikales Umdenken, vielmehr um das Aufzeigen von Möglichkeiten und Kompromissen, der Umwelt zuliebe. Ich hoffe natürlich, dass ich mit meinem Stück sowohl nachkommende als auch erfahrene Tischler*innen ein Stück weit davon überzeugen kann über den Einsatz von alternativen Materialien in zukünftigen Projekten nachzudenken. Insgesamt wäre es schön, wenn es sich nicht nur zu einem Trend entwickelt, sondern sich ihr Einsatz langfristig in unseren Werkstätten etabliert. Aber da bin ich zuversichtlich, denn soweit ich es aus Gesprächen mit Kollegen mitbekomme, besteht durchaus ein Interesse an alternativen und in Bezug auf ihre Umweltverträglichkeit innovativen Materialien.

 

Wie schätzen Sie die Chancen am Markt, bzw. das Interesse seitens der Kunden?

 

Tatsächlich schätze ich das Interesse sehr hoch ein. Die Natürlichkeit des Werkstoffes Holz und die Langlebigkeit der Schreinerarbeiten sind seit jeher ein wichtiger Grund für unsere Beauftragung. Warum sollten dann nicht auch die Verwendung von natürlichen Plattenwerkstoffen als Alternative zu herkömmlichen Werkstoffen ein weiteres Verkaufsargument darstellen? Denn neben der Umweltfreundlichkeit durch Ressourcenschonung bieten die Materialien weitere Vorteile für den Kunden direkt. So kann beispielsweise das Raumklima verbessert werden, da es zu keinem bindemittelbedingtem Schadstoffausstoss kommt.

 

Das bisherige Feedback nach der Vernissage in den Räumlichkeiten der HWK Wiesbaden war sehr positiv. Und wenn man sich den derzeitigen Zeitgeist anschaut, kann man definitiv ein Interesse für Möbel aus nachhaltigen Werkstoffen – sowohl in dem Segment der Luxusmöbel als auch für die breite Masse - erkennen.

 

Gibt es alternative Materialien, die – abgesehen vom Nachhaltigkeitsaspekt – Vorteile gegenüber herkömmlichen Werkstoffen besitzen?

 

Einige nachhaltige Platten- und Schichtstoffe gibt es erst seit Kurzem auf dem Markt und diese befinden sich in stetiger Weiterentwickelung. Bei näherer Betrachtung der einzelnen Plattenstoffe finden sich sowohl Nach- als auch Vorteile einzelner Platten im Vergleich zu herkömmlichen Materialien. Während der Planungsphase des Meisterstückes konnte ich aber für jede Anwendung eine geeignete Alternative finden. Wie bereits erläutert gasen die nachhaltigen Wertstoffe in ihrer Lebenszeit keine schädlichen Substanzen aus, was zu Guten des Raumklimas und der Gesundheitsbelastung des Kunden geht. Andere Platten haben beispielsweise ein geringeres Schwundverhalten als ihre herkömmlichen Alternativen, oder verfügen über Stärken in der Feuerfestigkeit. Für die Vielzahl an Anwendungen lässt sich ein Vor- oder Nachteil der alternativen Platten nicht pauschalisieren und muss entsprechend der Verwendung betrachtet werden.