„Lackieren lernt man nicht in der Theorie“

Die überbetrieblichen Lehrgänge (ÜLU) sind ein essenzieller Bestandteil der Tischler- und Schreiner-Ausbildung. Besonders die Oberflächenkurse TSO1 und TSO2 vermitteln Techniken, die in vielen
Betrieben nur selten zur Anwendung kommen. Um den aktuellen Anforderungen des Handwerks gerecht zu werden, wurden die Unterweisungspläne für diese Lehrgänge überarbeitet und neu strukturiert. Die
Anpassungen bringen nicht nur formale Änderungen mit sich, sondern auch konkrete Neuerungen im Unterricht. Warum diese Veränderungen notwendig sind, welche Inhalte in den Kursen vermittelt werden
und warum Intarsien trotz ihrer wirtschaftlichen Bedeutungslosigkeit weiterhin eine Rolle spielen, erklärt Ausbildungsmeister und Dozent Günter Musfeld im Interview.
Herr Musfeld, warum sind die TSO-Lehrgänge ein wichtiger Bestandteil der Ausbildung?
Die TSO-Lehrgänge orientieren sich am Ausbildungsrahmenplan und haben das Ziel, den Auszubildenden einen umfassenden Einblick in alle Aspekte der Oberflächenbehandlung zu geben. Viele Betriebe
sind stark spezialisiert und können daher oft nur einen kleinen Ausschnitt der möglichen Techniken vermitteln. Die überbetrieblichen Lehrgänge schließen diese Lücken und sorgen dafür, dass alle
Auszubildenden ein möglichst einheitliches Fundament erhalten – unabhängig davon, wo sie ihre Ausbildung absolvieren. Das ist besonders wichtig, weil Tischler und Schreiner heute oft überregional
arbeiten und sich nicht darauf verlassen können, dass ihnen in jedem Betrieb die gleichen Kenntnisse vermittelt werden. Die ÜLU-Lehrgänge wurden eingeführt, um ein gleichbleibendes Niveau im
Handwerk zu gewährleisten, und das ist auch der Grund, warum die Unterweisungspläne jetzt überarbeitet und angepasst wurden.
Was genau wird in den beiden Wochen der TSO-Kurse vermittelt?
Der Kurs beginnt mit der Vorbereitung der verschiedenen Trägermaterialien. Wir furnieren, bürsten, profilieren, schleifen, wässern – all diese Arbeitsschritte sind essenziell, um eine Oberfläche
überhaupt beschichten zu können. Anschließend geht es an das Veredeln, Schützen und Beschichten mit den unterschiedlichsten Materialien. Dabei halten wir uns eng an die Unterweisungspläne und
stellen sicher, dass alle grundlegenden Verfahren abgedeckt werden. Manche Techniken, wie das Räuchern von Holz, demonstrieren wir nur einmal, weil sie nicht zu den alltäglichen Anwendungen
gehören. Andere, wie der Umgang mit der Spritzpistole, werden intensiv geübt. Für einige ist das Routine, andere halten in diesem Kurs zum ersten Mal eine Spritzpistole in der Hand. Deshalb legen
wir neben der Technikvermittlung großen Wert darauf, dass unsere Teilnehmer lernen, genau hinzusehen. Wer eine Oberfläche richtig beurteilen kann, erkennt frühzeitig Fehler und kann sie noch
korrigieren. Das gilt für das Lackieren ebenso wie für das Schleifen – nach dem Beizen oder Lackieren sind Fehler nicht mehr zu beheben.
Ein zentrales Lernziel des Kurses ist, dass jeder Teilnehmer am Ende einen Lack passend zur Aufgabe auswählen, ihn nach Produktdatenblatt korrekt mischen und die Spritzpistole selbstständig
einstellen kann. Das Lackieren kleiner Flächen sollte dann möglichst fehlerfrei funktionieren. Natürlich ist das erst der Anfang – bis man sich an eine hochglanzlackierte Kirschholzvitrine wagt,
braucht es noch einiges an Übung.
Einige Betriebe sehen die TSO-Kurse kritisch. Können Sie das nachvollziehen?
Die Reaktionen der Teilnehmer sprechen eine klare Sprache: Sie nehmen den Kurs als sehr wertvoll wahr, und das bestätigen uns auch die schriftlichen Bewertungen. Dennoch gibt es Betriebe, die den
Lehrgang skeptisch betrachten. Das kann ich sogar teilweise verstehen – als ich selbst noch einen Betrieb führte, habe ich anfangs ähnlich gedacht.
Die Perspektive eines Betriebs ist natürlich eine andere. Ein drittes Lehrjahr ist kurz, die Auszubildenden sind mittlerweile gut einsetzbar, und dann sollen sie auch noch zwei Wochen fehlen, um
lackieren zu lernen? Viele denken sich: „Das bisschen Lackieren können sie doch schon, und außerdem brauchen wir das gar nicht so oft.“ Aber genau hier liegt das Problem. Der TSO-Lehrgang ist ja
nicht für das gedacht, was man im eigenen Betrieb ohnehin täglich macht, sondern für das, was eben nicht oder nur selten vorkommt. Die Realität in unseren Kursen zeigt deutlich, dass viele
Auszubildende bislang kaum Erfahrungen im Bereich der Oberflächenveredelung sammeln konnten. Fast alle haben schon einmal einen Zwischenschliff gemacht, aber nur wenige haben wirklich lackiert.
Manche haben noch nie eine Spritzpistole in der Hand gehalten. Und selbst grundlegende Dinge wie abgestuftes Schleifen sind längst nicht allen bekannt.
Ein oft diskutiertes Thema sind die Intarsienarbeiten im Kurs. Warum halten Sie daran fest?
Intarsien sind eine faszinierende Technik, aber sie sind im heutigen Schreinerhandwerk natürlich nicht mehr wirtschaftlich. Unsere Stundenlöhne erlauben es schlicht nicht, solche Arbeiten regulär
anzubieten. Trotzdem hat diese Technik ihren festen Platz in der Ausbildung – und das aus gutem Grund.
Für die Teilnehmer ist das Anfertigen einer Intarsienplatte eine enorme Motivation. Es ist ein Tag innerhalb einer dreijährigen Ausbildung, aber er bringt einen enormen Mehrwert. Die
Auszubildenden entwickeln ein eigenes Motiv, setzen sich mit verschiedenen Holzarten und deren Eigenschaften auseinander und müssen die einzelnen Teile mit großer Geduld und Präzision zuschneiden
und fügen. Schon in dieser Phase wird viel gelernt. Danach geht es an die Oberflächenbearbeitung, das mehrfache Schleifen und Lackieren – und hier sind alle mit Feuereifer dabei. Bei kaum einer
anderen Aufgabe arbeiten die Teilnehmer so sorgfältig und selbstmotiviert. Sie wollen Fehler vermeiden und das bestmögliche Ergebnis erzielen. Das macht den Kurs für viele zu einem besonderen
Erlebnis.

Was ändert sich durch die neue Unterweisungsplanung in den TSO-Kursen an der Holzfachschule?
Die grundlegenden Inhalte bleiben erhalten, aber es gibt einige wichtige Neuerungen. Die klare Trennung zwischen TSO1 und TSO2 sorgt für mehr Struktur: Im ersten Teil geht es um das farblose
Lackieren, im zweiten Teil um farbige Beschichtungen. Das ist besonders für Bildungsträger relevant, die die Lehrgänge in getrennten Wochen anbieten.
Technisch rüsten wir ebenfalls auf. Neben der bewährten Becherpistole setzen wir künftig ein Airmix-Spritzsystem ein, um eine weitere Methode praxisnah zu vermitteln. Aufgrund verschärfter
Vorschriften zur Luftreinhaltung investieren wir zudem in absaugfähige Handschleifklötze, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Ein großer Fokus liegt auf umweltfreundlicheren Materialien –
der Einsatz von VOC-haltigen Lacken wird weiter reduziert, stattdessen arbeiten wir verstärkt mit Wasserlacken, Ölen und Wachsen.
Ein Wunsch aus der Praxis war die Einführung eines neuen Werkstücks, das die erlernten Techniken direkt anwendbar macht. Deshalb haben wir eine Schatulle mit Deckel entwickelt, die während des
Kurses gefertigt und beschichtet wird. Sie dient nicht nur als Übungsobjekt, sondern auch als Aufbewahrung für Platten und schriftliche Unterlagen. So verbinden wir Funktionalität mit praktischem
Lernen.
Eine weitere Neuerung ist die Möglichkeit, ein kleines Kunststoffobjekt im Tiefziehverfahren herzustellen und anschließend speziell zu lackieren. Damit wollen wir den Teilnehmern einen Einblick
in eine Technik geben, die in vielen modernen Anwendungen eine Rolle spielt.
Mit diesen Anpassungen stellen wir sicher, dass die TSO-Kurse weiterhin praxisnah, zeitgemäß und für die Auszubildenden ebenso lehrreich wie motivierend bleiben. Denn eines ist klar: Lackieren
lernt man nicht in der Theorie – man muss es machen, sehen und üben.